27.05.2022 | Klassiker

50 Jahre Porsche 911 Carrera RS 2.7

Ob auto-poetisch als „Entenbürzel“ tituliert, kurz als „RS“ oder in numerischem Purismus als „2punkt7“: Der Porsche 911 Carrera RS 2.7, so der vollständige Modellname des Kandidaten, war zu seiner Zeit nicht nur der schnellste deutsche Serienwagen. Er war auch der erste mit Frontspoiler und einem Heckflügel, der ihm eben jenen Spitznamen einbrachte: Entenbürzel. Weitere Analogien zum Schwimmvogel mit dem eher watschelnden Gangbild zu Lande gibt es nicht. Im Gegenteil.

Vor rund 50 Jahren, im Mai 1972, starteten ein gutes Dutzend Ingenieure und Mitarbeiter aus der Produktion die Entwicklung des 911 Carrera RS 2.7. Der war zunächst „als Homologationsfahrzeug gedacht, er sollte ein ganz leichtes, schnelles Sportfahrzeug werden“, erinnert sich Peter Falk, seinerzeit Versuchsleiter Serienfahrzeuge bei Porsche. Als neues Basisfahrzeug für den Renn- und Rallyesport hatte man den 911er nicht nur mit diversen Technikfeatures veredelt, sondern als leistungsstärksten Vertreter des Porsche-Programms, zu dem er avanciert war, auch mit den Beinamen „Carrera“ .

Porsche plant anfangs mit 500 Einheiten, um den RS 2.7 für die Gruppe 4/Spezial-GT-Fahrzeuge zu homologieren – ein Fahrzeug mit Straßenzulassung also, mit dem Kunden mit sehnigem Gasfuß auch an Rennsportveranstaltungen teilnehmen konnten. Anfang Oktober 1972 erfolgte der erste Auftritt vor internationalem Publikum auf dem Pariser Autosalon an der Porte de Versailles - mit der Folge, dass bereits Ende November alle 500 Einheiten verkauft waren, bis Juli 1973 hatte Porsche den Absatz gar verdreifacht.

So entstanden in der Summe 1.580 Porsche des Typs 911Carrera RS 2.7, der damit – zusätzlich zur Gruppe 4 – ab dem 1.000sten Fahrzeug für die Gruppe 3 homologiert werden konnte. 200 Fahrzeuge baute Porsche in der Leichtbauversion „Sport“ mit dem Ausstattungspaket M471. Dazu kamen 55 Einheiten der Rennversion, 17 Basisfahrzeuge sowie 1.308 Touring-Ausführungen M472.

Beim Leichtbau-RS im M471-Trim war das Interieur auf das Notwendigste beschränkt. Komfortfeatures wie Rücksitze,Teppiche, eine Zeituhr, Kleiderhaken und Armlehnen glänzten durch Abwesenheit, zwei leichte Sitzschalen ersetzten die serienmäßigen Sportsitze. Selbst das Porsche-Wappen auf der Fronthaube wurde anfangs geklebt. Schlanke 960 Kilogramm Leergewicht brachte die abgespeckte Sportversion damit auf die Waage, immerhin 115 Kilogramm weniger als die M472-Touringvariante. Der Preis: 34.000 Deutsche Mark. Das Sport-Paket (M471) kostete 700, das Touring-Paket (M472) 2.500 DM.

Der 2,7-Liter-Sechszylinder-Boxer mit Benzineinspritzung erreichte in beiden Fällen 210 PS bei 6.300 U/min und bei 5.100 U/min ein maximales Drehmomentvon 255 Nm. In der Version Sport ermöglichte diese sorgsam austarierte Synthese aus Gewicht, Leistung, Aerodynamik und Handling eine Höchstgeschwindigkeit „jenseits von 245 km/h“ und 5,8 Sekunden für die Beschleunigung aus dem Stand auf 100km/h – womit der 911 Carrera RS 2.7 beim Fachmagazin auto, motor und sport als erster Serienwagen die Sechs-Sekunden-Marke unterbot. Der nicht minder sportliche, aber etwas relaxtere Touring ließ es bei 6,3 Sekunden respektive 240 km/h bewenden.

„Runter mit dem Gewicht“ lautete die Maxime beim Entwickeln der Karosserie: Dünne Bleche, dünne Scheiben, Teile aus Kunststoff und der Verzicht auf Dämmmaterialien ließen die Kilos der Rennversion auf unter 900 Kilogramm  purzeln, wie es das Homologations-Regelwerk vorschrieb. Gleichzeitig sollte eine optimierte Aerodynamik den Auftrieb an Vorder- und Hinterachse minimieren und damit das Handling neutraler gestalten. Die Ingenieure Hermann Burst, Tilman Brodbeck und Stylist Rolf Wiener entwickelten zu diesem Zweck erstmals einen Heckspoiler und testeten sein Wirken im Windkanal und auf der Teststrecke. Wobei es nicht allein darum ging, den aerodynamischen Nachteil der abfallenden Heckkontur zu kompensieren. Es galt auch, peinliche Stilbrüche zu vermeiden und den formal geschlossenen Charakter der 911er-Silhouette zu bewahren.

Der „Entenbürzel“ erwies sich als genialer Kniff, drückte er doch den RS 2.7  mit wachsendem Tempo nicht nur stärker auf die Fahrbahn; er versorgte auch den Heckmotor mit zusätzlicher Kühlluft und reduzierte den Luftwiderstand derart, dass die Höchstgeschwindigkeit um 4,5 km/h anstieg. „Bei Tests stellten wir fest, dass wir mit einem höheren Spoiler die Höchstgeschwindigkeit erhöhen konnten, weil der Luftwiderstand niedriger wurde. Also haben wir den Heckspoiler mit Blechen an der Abrisskante immer wieder um Millimeter nach oben erweitert, bis wir am Umkehrpunkt waren, ab dem der Luftwiderstand wieder steigt“, so Peter Falk. Weil es dieses technische Flügelwerk zu schützen galt, meldeten die drei Porsche-Mitarbeiter am 5. August 1972 eine Patent-Offenlegungsschrift Nr. 2238704 beim Deutschen Patentamt an.

Die Enten indes wurden dazu nicht befragt. Sie hatten wohl auch Besseres zu tun, als über ungefiederte Nachbauten ihrer Kehrseite einen Schnatterstorm loszutreten.

Einige Sonderrationen Hirnschmalz investierten die Ingenieure auch ins Fahrwerk des Boliden. Im Rennsport hat Porsche gute Erfahrung mit breiteren Hinterrädern gesammelt, daher probierten die Entwickler das auch beim 911 Carrera RS 2.7. „Wir wollten mit breiten Reifen an der Hinterachse Traktion und Fahrverhalten verbessern, weil das Gewicht auf der Hinterachse am höchsten ist“, erinnert sich Peter Falk. Erstmals bei Porsche erhielt damit ein Serienfahrzeug verschiedene Reifengrößen – 185/70-VR-15-Reifen auf 6 J x 15 großen Fuchs-Schmiederäder an der Vorderachse und 215/60-VR-15er auf 7 J x 15-Felgen hinten. Damit die wuchtigen Walzen Unterschlupf fanden, verbreiterte man die hinteren Radhäuser um 42 Millimeter. „Als das in der Entwicklung, in der Produktion und im Vertrieb gut funktionierte, haben alle nachfolgenden Modelle diese Kombination erhalten“.

Mit dem 911 Carrera RS 2.7 hatte Porsche nicht nur einen Sportwagen für die Rennstrecke entwickelt, sondern ebenso ein Auto für den Alltag. Weswegen die zugehörige Werbung das Licht dieses besonderen Elfers keineswegs unter den Scheffel schob und die ganze Bandbreite seiner Vorzüge wortgewaltig erstrahlen ließ: „Per Achse zum Rennen und wieder nach Hause. Montag ins Büro. Dienstag nach Genf. Abends zurück. Mittwoch zum Shopping. City. Stauung. Kriechverkehr, aber keine Kerze verrußt, keine Kupplung streikt. Donnerstag Landstraße, Autobahn, Serpentinen, Feldwege, Baustellen, Freitag nur Kurzstrecke und immer wieder Kaltstarts. Samstag mit Urlaubsgepäck nach Finnland. Carrera RS – beim Sprint wie beim Marathon voll unerschöpflicher Reserven.“

Nach einer Reglementänderung für Sportprototyen endete die Erfolgsgeschichte. Dennoch entschieden die Stuttgarter Sportstrategen nach dem Renndebüt eines 911 Carrera RSR mit stark verbreiterter Karosserie bei der Tour de Corse im November 1972, die rasante Story 1973 im Rennsport fortzuschreiben. Gesagt, getan: Anfang Februar 1973 flog beim 24-Stunden-Rennen von Daytona ein von Peter Gregg und Hurley Haywood pilotierter RSR mit 22 Runden Vorsprung durchs Ziel, wahrhaftig ein fulminanter Start in die Saison; und im Mai 1973 siegten Herbert Müller und Gijs van Lennep bei der Targa Florio. „Der Sieg war wichtig für uns, weil sich zeigte, dass der  RSR mit dem größeren Heckflügel auf Rundstrecken und auf Rallye-Strecken sehr schnell fährt“, erinnert sich Peter Falk. Beim International Race of Champions (IROC) im Oktober 1973 setzt Roger Penske aus den USA zwölf identische 911 Carrera RSR 3.0 ein, in denen Fahrer aus unterschiedlichen Rennklassen gegeneinander antraten.

So holte der Carrera RSR in seiner ersten Saison drei internationale und sieben nationale Meisterschaften und zementierte damit den Erfolg des 911 für die nächsten Jahrzehnte. Und wenn wir uns nur ein wenig Pathos-Paste aufs Brot schmieren, lässt sich locker vorhersagen: für immer.