14.07.2024 | Story Driver

Vor über 90 Jahren erdacht, jetzt gemacht: Auto Union "Schnellsportwagen" Typ 52

Wer kennt sie nicht: die Silberpfeile der Auto Union, jene legendären Grand-Prix-Rennwagender 1930er Jahre. Kaum jemand weiß jedoch, dass auf Basis dieser Rennmaschinen auch eine straßentaugliche Sportwagen-Version mit Sechzehnzylinder-Motor geplant war, der Typ 52. Audi hat diesen Schnellsportwagen aufgebaut und stellt ihn beim Goodwood Festival of Speed in England Mitte Juli 2024 erstmals der Öffentlichkeit vor.

Die 1932 aus dem Zusammenschluss von 
Audi, DKW, Horch und Wanderer entstandene
Auto Union AG engagiert sich schon früh 
im Motorsport, um ihr neues Firmensignet, 
die Vier Ringe, international bekannt zu machen. Ebenfalls 1932 werden die Regularien für die neue 750-kg-Formel veröffentlicht, die bei denGrand-Prix-Wettbewerben der Jahre 1934 bis 1936 gelten sollen. 1933 erteilt die Auto Union AG dem Stuttgarter Konstruktionsbüro von Ferdinand Porsche den Auftrag, einen Rennwagen gemäß dieser 750-kg-Formel zu entwickeln. Die Arbeiten am Auto Union Typ A – laut Porsche-interner Nomenklatur „Typ 22“ genannt, beginnen im März 1933 – und schon ein Jahr später fährt Hans Stuck auf der Berliner AVUS mit dem Wagen einen Weltrekord.
 
Als 1934 die völlig neuartigen Rennwagen von 
Auto Union und Mercedes-Benz auch die Bühne
 der internationalen Rennsportszene betreten, 
entsteht der Mythos der Silberpfeile. Die sprichwörtlich pfeilschnellen Boliden, Kraftpakete mit futuristischem Design und revolutionärer Technik, ziehen das Publikum in ihren Bann. Während Mercedes-Benz Frontmotoren favorisiert, platziert die Auto Union das Aggregat erstmals hinter den Fahrer. Dieses Konzept des Mittelmotors ist bis heute Standard in der Formel 1. Immer weitere Geschwindigkeitsrekorde werden in den Folgejahren aufgestellt, die Auto Union gewinnt zahlreiche Bergmeisterschaften, drei deutsche Meisterschaften und 1936 die Europameisterschaft mit dem weiterentwickelten Auto Union Typ C. Der Rest ist Geschichte.

Nur wenigen ist allerdings bekannt, dass zeitgleich 
mit der Entwicklung der Grand-Prix-Rennwagen 
bei der Auto Union AG und im Konstruktionsbüro 
von Ferdinand Porsche auch Planungen für eine 
straßentaugliche Sportlimousine starten. In den Konzeptunterlagen findet sich der Begriff „Schnellsportwagen“, unter dem das Automobil wohl vermarktet werden soll. Im heutigen Sprachgebrauch verkörpert das Auto aufgrund seiner Charakteristik einen klassischen Gran Turismo.Der Auto Union Typ 52, so der spätere Projektname, soll an Kunden verkauft und kann von diesen bei Fernfahrten-Wettbewerben wie etwa der Mille Miglia oder Sportwagen-Konkurrenzen eingesetzt werden. In Frage gekommen wären zum Beispiel die Langstreckenrennen von Spa-Francorchamps oder Le Mans. Auch zu Werkseinsätzen gab es Überlegungen. 

Schon Ende1933 entstehen im Porsche 
Konstruktionsbüro erste Designskizzen, 
im Verlauf des Jahres 1934 nehmen sie 
konkretere Formen an. Die Projektverantwortlichen beschließen auch den Bau eines Versuchswagens – den es allerdings nach allem, was heute bekannt ist, nie gegeben hat. 1935 wird das Projekt eingestellt, in den Archiven von Audi und Porsche verlieren sich die Spuren. Auf der technischen Basis des gleichzeitig entwickelten Grand-Prix-Renners bringen die Entwickler bis dahin jedoch Wegweisendes zu Papier: Das Chassis des Auto Union Typ 52 ist als Leiterrahmen mit Mittelmotor ausgeführt. Genutzt wird die Antriebseinheit aus dem Auto Union Typ 22, die Verdichtung des potenten 16-Zylindermotors jedoch reduziert, damit der Wagen normales Benzin tanken kann. Gleichzeitig verringern die Techniker die Übersetzung des Roots-Kompressors. Der Motor im Auto UnionTyp 52 soll aus 4,4 Litern Hubraum bei 3.650 U/min rund 200 PS schöpfen, sein maximales Drehmoment von 436 Nm liegt bei moderaten 2.250 U/min an. 

Das ist im Vergleich zu den Grand-Prix-Boliden zwar leistungsreduziert, dennoch zeigen die aus Berechnungen der Ingenieure hervorgehenden Fahrleistungen von rund 200 km/h, dass der Schnellsportwagen seinem Namen alle Ehre gemacht hätte. Zu seiner Zeit wäre er eines der stärksten Fahrzeuge mit Straßenzulassung und auch bei den möglichen Sportwagen-Wettbewerben gewesen: ein echter Schnellsportwagen.

Anhand noch vorhandener Archivdokumente, 
Pläne und Konstruktionszeichnungen 
hat Audi den Auto Union Typ 52 von 
Crosthwaite & Gardiner aufbauen lassen. Die englischen Restaurationsspezialisten betreuen auch die Silberpfeile der historischen Fahrzeugsammlung von Audi und haben das Projekt „Schnellsportwagen“ nach mehrjähriger Bauzeit 2023 fertig gestellt. Alle Bauteile sind „custom made“ und in Handarbeit speziell für das Modell angefertigt. Mit seinen über fünf Metern Länge ist der Auto Union Typ 52 eine imposante Erscheinung: Dielang gestreckte Silhouette lässt erkennen, dass die Ingenieure den Wagen auf bestmögliche Aerodynamik und maximale Performance getrimmt haben. Im Gegensatz zu seinen Grand-Prix-Geschwistern kommt er konzeptgemäß alltagstauglicher daher: mit Dach, Scheinwerfern, Platz für Gepäck und Stauraum für die doppelte Ersatzbereifung. 

Auf zusätzlichen Komfort müssen die maximal drei 
Passagiere verzichten. Racing-typisch sitzt der 
Fahrer im Auto Union Typ 52 in der Mitte, die seitlichen 
Beifahrersitze sind leicht nach hinten versetzt. Mit drei Personen, 70 Kilogramm Gepäck und 150 Kilogramm Betriebsmitteln weist das technische Datenblatt ein Gesamtgewicht von 1.750 Kilogramm aus, das Leergewicht soll 1.300 Kilogramm betragen. Stammen das Antriebsaggregat und das Getriebe in Verbindung mit der offenen 5-Gang-Schaltkulisse aus dem Grand-Prix-Rennwagen,wählen die Ingenieure beispielweise bei Federung und Dämpfung andere technische Lösungen: Statt einer Querblattfeder in Kombination mit Reibungsdämpfern wie beim Auto Union Typ 22 kommen beim Typ 52 an der Hinterachse längs angeordnete Drehstabfedern in Verbindung mit hydraulischen Dämpfern zum Einsatz. 

Der gemäß den Planungen für 110 Liter ausgelegte Tank wandert im Verlauf der Entwicklungunter die Sitze – beim Grand-Prix-Rennwagen sitzt der deutliche größere Tank direkt hinter dem Fahrer im Schwerpunkt des Fahrzeugs, was bei denSilberpfeilen eine optimale Gewichtsverteilung bei vollem und leerem Tank zur Folge hat. Verzögert wiederum wird beim Auto Union Typ 52 wie beim Typ 22 mithilfe von Trommelbremsen an allen vier Rädern, ebenso sind Drahtspeichenräder vorgesehen.

Herausforderungen beim Aufbau des Unikats:
In Bezug auf den Auto Union Typ 52 ist kein finaler 
Entwicklungsstand überliefert, ebenso wenig 
gibt es Bilder eines fertiggestellten Fahrzeugs. In Bezug auf den Auto Union Typ 52 ist kein finaler Entwicklungsstand überliefert, ebenso wenig gibt es Bilder eines fertiggestellten Fahrzeugs. Im Zuge der Auflösung der Auto Union AG in der russischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg gehen nicht nur die historischen Grand-Prix-Rennfahrzeuge, sondern auch zahlreiche Akten und Fotos verloren. Gesicherte Berichte von Zeitzeugen, die Rückschlüsse auf die finale Konfiguration – sofern es je eine gab – des geplanten Schnellsportwagens zulassen würden, existieren ebenfalls nicht. Dennoch sind anhand der vorhandenen Pläne die Entwicklungsrichtung und auch die Ziele, welche die Ingenieure damals verfolgen, gut nachvollziehbar. 

Während der Aufbauphase gab es zwischen 
Audi Tradition und den Spezialisten von 
Crosthwaite & Gardiner einen stetigen 
und intensiven Austausch. In dessen Verlauf klärte Timo Witt, Leiter der historischen Fahrzeugsammlung von Audi, zahlreicheDetailfragen; Entscheidungen zugunsten der ein oder anderen technischen Lösung mussten getroffen werden. Witt heute, nach Abschluss des Aufbauprojekts: „Auch in den 1930er Jahren – dies eine Erkenntnis aus unserem intensiven Austausch – hätten die Entwickler im Verlauf der Erprobung vermutlich noch das ein oder andere Detail technisch nachjustiert. So mussten wir beispielsweise den Radstand des jetzt gebauten Auto Union Typ 52 länger machen als in den ursprünglichen Planungsunterlagen, weil das im Package mit den anderen Komponenten wie etwa Vorderachsaufhängung, Aggregat, Lenkung oder Getriebe technisch nicht anders umsetzbar war. Dagegen haben wir uns bei der Innenausstattung an den Auto Union Grand-Prix-Rennwagen orientiert und gleichzeitig Farben und Stoffe zeitgenössisch interpretiert.“

Zur Außenlackierung finden sich in den 
Unterlagen keine näheren Angaben. 
Audi Tradition hat deshalb auch hier 
den Rennwagen als Basis genommen und in punkto Lackierung die Farbe Cellulose Silver (Silber seidenmatt) gewählt. Beim eingesetzten Motor gibt es im jetzt gebauten Auto Union Typ 52 eine bewusste Abweichung zur ursprünglichen Planung der Konstrukteure: Audi Tradition nutzt das 16-Zylinderaggregat des Auto Union TypC, das zugunsten der Austauschbarkeit mit den Grand-Prix-Rennwagen für den Typ 52 nicht gedrosselt wurde. Betrieben wird der Motor deshalb mit einem speziellen Methanol-Gemisch. Basierend auf den überlieferten Informationen, die von Audi Tradition mit größtmöglicher Sorgfalt interpretiert und umgesetzt wurden, ist der in Goodwood erstmals vorgestellte Auto Union Typ 52 das Ergebnis einer maximalen Annäherung an den vor rund 90 Jahren erdachten Schnellsportwagen Auto Union Typ 52, den es so nie gegeben hat.